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China VII – Shaanxi: All along the Watchtower

05.11.-09.11.2016

In den letzten Wochen hat unsere Reise etwas an „Momentum“ verloren. Wir brauchten immer länger, um wieder in Schwung zu kommen und haben etwas den runden Tritt verloren. Erst im Nachhinein ist uns deutlich geworden, wie wichtig dieses Anlaufnehmen für den nächsten Schritt unserer Reise ist. Wir haben die Zeit auch genutzt, die nächsten Etappen und Länder zu planen – d.h. uns ein Bild von Südostasien zu machen. Für viele Radreisende, die wir getroffen haben (virtuell oder im echtem Leben) ist in China oder kurz danach Schluss. Für andere geht ein Abschnitt zu Ende, der durch den beginnenden Winter auch jahreszeitlich untermauert wird. Unser Reise hat noch nicht (oder gerade so) ihren Zenit überschritten. Wir halten uns das tatsächliche Ende aber bewusst offen – noch macht es Laune 😉 Auch die Fahrräder haben viel erlebt und die eine oder andere Verschleißerscheinung und Wehwehchen machen sich bemerkbar.

Auch die nächsten Tage sollen etwas Urlaub vom Reisen sein. Wir freuen uns auf die Großstadt Chengdu. Wir konnten uns vor der Reise nicht vorstellen, wie sehr man Lust auf Kaffee aus Bohnen, kaltes Bier aus einem Glas und gewohnte Gerichte haben kann – in Chengdu wird es das alles geben Bevor wir uns auf eine hoffentlich entspannte Zugfahrt und einige kulturelle Highlights freuen konnten, standen zwei wichtige Organisationspunkte auf unserer Tagesordnung: Zugticket kaufen und den Versand der Ausrüstung inkl. Räder organisieren. Darüber ist die Gemeinschaft der Radreisenden stark gespalten, oft hört man: alles kein Problem, super easy – manche würden nie wieder Zug in China fahren. Es scheint stark daran zu liegen, wer einem hilft, eine englischsprachige Hotelrezeption kann da viel bewirken. Wir kaufen die Tickets klassisch am Schalter im Bahnhof, das war gar nicht so einfach, aber mit der Hilfe von Ctrip, einer App zum Planen der Verbindung, und einigen vorbereiteten Übersetzungen erträglich – ohne den Fahrplan sähe die Geschichte ganz anders aus (Allgemeine Informationen zum Thema findet man bei travelchinaguide.com). Als wir alles angesagt und bezahlt hatten, warten etwa 30 Leute hinter uns in der Schlange. Für den Transport und die Abholung des Gepäcks fühlt sich die Frau am Schalter nicht zuständig, als wir anfangen ihr zu erklären, dass wir unsere Räder verschicken müssen – sie hat auch genug von uns. Bus fahren durch die Stadt ist super einfach, man muss einen Yuan in den Kasten beim Busfahrer werfen, los gehts. Im Bus sind Chinesen ausgesprochen höflich, alten Leuten wird sofort der Sitzplatz angeboten. Im Hotel (7Days Inn) hilft uns eine zackige Chinesin beim Organisieren des Gepäckversands, alles geht viel schneller als gedacht: ich flicke grad noch einen platten Reifen als der Kuriermensch schon neben mir steht. Er ist mit E-Roller da und wartet auf einen Kollegen mit größerem Gefährt. Wir kommen ins Gespräch: alle Hotelangestellten und der Kurier schauen sich begeistert unsere Fotos an und es wird zum Happening vor dem Hotel. Der zweite Kurier erscheint mit einem Tuk Tuk – beide überlegen wie sie die Räder darauf kriegen sollen. Uns wird langsam mulmig, sollte der Kurier nicht zur Zuggesellschaft gehören?! Wir bieten an, die Räder zur Filiale zu fahren – schon fängt die wilde Fahrt an, hinter dem verrückten Kurier durch das Verkehrschoas. Alle Kommunikation erfolgt über Smartphones. Die Chinesen „malen“ die Zeichen auf den Bildschirm, eine App übersetzt – das geht echt schnell und viel besser als anders herum. In der Filiale meint der Kurier, er müsse eine Box fürs Rad finden, oh nein – davon war nie die Rede – hoffentlich muss nicht alles zerlegt werden. Wir ergeben uns der Situation und hoffen, dass alles heile ankommt (drei Tage später zeigt die Sendungsverfolgung, dass unser Rad mit dem Flieger in Chengdu angekommen ist – wir sind immer noch in Jiayuguan – wenn das mal gut geht).

Wir beschließen, uns keine Sorgen zu machen und zur Großen Mauer zu fahren – ein komisches Gefühl, völlig unbeschwert ohne den ganzen Kram. Wir nehmen den Bus raus aus der Stadt und schauen uns das Fort an, das das Ende der Mauer absichert. Von der eigentlichen Mauer ist nicht viel zu sehen. Wenn es auf den Bildern so aussieht, als ob wir völlig alleine hier sind, dann stimmt das auch tatsächlich. Es ist einfach zu kalt!

Wir suchen uns einen Taxifahrer und verhandeln eine akzeptablen Preis, er wird uns zur richtigen Mauer bringen, dort auf uns warten und dann zurück zur Busstation fahren. Fast wären wir schon wieder Richtung Stadt gefahren, weil uns zu kalt war, zum Glück entscheiden wir uns es durchzuziehen, der Anblick der Mauer war die Strapazen auf jeden Fall wert.

Der kurze Aufstieg auf die Mauer sollte uns den nächsten Tagen einigen Muskelkater bescheren. Wir lassen unseren Aufenthalt in Jiayuguan in einem Hotpot-Restaurant ausklingen. Wir waren bereits zweimal dort und haben keinen Sitzplatz bekommen, dieses Mal klappt es. Hotpot zu bestellen ist gar nicht so einfach – wir haben einige Wörter und Schriftzeichen gelernt und können das Gemüse jetzt alles einzeln bestellen. Am nächsten Tag ist Zugfahren angesagt, vor uns liegt ein halber Tag und eine Nacht im Hard Sleeper, d.h. schmale Liegen und drei Menschen übereinander – viel komfortabler als erwartet. Wir sind hin und hergerissen, auf der einen Seite wären wir die Strecke gerne gefahren – wir wollten ja den Übergang vom gelben zum grünen China erleben, auf der anderen Seite ging eben diese Einöde viel länger als erwartet. Wir sehen viel Schnee neben der Zugstrecke und sind dann doch froh im warmen Zugabteil zu sitzen.

Wir haben einen Tag in Xi’an, wir haben deutlich mehr Zeit an weitaus weniger spannenden Orten verbracht. Am Bahnhof beeindruckt uns die alte Stadtmauer, direkt dahinter befinden sich ein McDonalds, Starbucks und KFC, fehlt nur noch ein geschlossener Schlecker. Wir sind also im globaliserten China der großen Städte angekommen.

Für uns gehts zur Terrakottaarmee. Wir nehmen den Bus, dessen Besatzung am lautesten schreit. Wir erleben die abgefahrenste Busfahrt bisher (vorher war Belgrad Platz 1, der Busfahrer hat während der Fahrt unser Rückgeld gezählt und alle Scheine mit dem Mund zusammengehalten). Sämtliche Verkehrsregeln werden komplet ignoriert, die Hupe ist natürlich im Dauereinsatz. Wir rätseln noch, was das zu bedeuten hat: an einer Kreuzung werden ein paar Straßenverkäufer (Selfiestangen – was sonst?) rangerufen und nehmen im Bus platz. Kurz dananch halten wir: eine Offizieller begutachtet den Bus, vielleicht der Chef oder ein Cop? Entweder braucht man genug Leute, um als „Bus“ zu gelten und auf den Highway zu dürfen oder der Chef wollte sich der erfolgreichen Fahrgastjadd vergewissern. Am Ende gibts für die Kurzzeitbusfahrer ne Kippe und sie werden an der nächsten Ecke rausgelassen.

Am Eingang zum Museum erwartet uns eine Reihe englischsprachiger Guides, darunter Lisa, erst wollen wir nicht. Im perfekten Englisch überzeugt sie uns, dass wir ohne ihre Führung alle Geheimnisse der Anlage verpassen – wir bereuen es nicht, sie mitzunehmen. Sie drängelt uns an jeder Statition einen Platz frei, die typischen Fotos macht sie von uns – keine Widerrede. So viel Tourismus und das unterwegs sein ohne unsere Räder sind wir gar nicht mehr gewöhnt.

Zufällig stoßen wir in Xi’an auf diesen Tempel. Es gibt in der Stadt zwar auch eine große Moschee, die Zeit des islamischen Einflusses entlang unserer Reiseroute geht aber langsam dem Ende entgegen (vermutlich bis Malaysia).

Nach einem anstrengendem Tag sind wir bereit für eine weitere Nacht im Zug, dieses Mal in der Luxusklasse, dem Soft Sleeper.

Macht was draus,

T+D

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