05.05.-16.05.2017
Wir verlassen den Ort unseres letzten Beitrags (Taumarunui) mit vollen Taschen. Wie so oft war die Restekiste gut bestückt, viele Reisende in den Campervans lassen nicht mehr gebrauchte Lebensmittel in den Küchen der CPs, sodass wir genügsamen Radler davon noch gut kochen können.
Die Energie wird dringend benötigt, denn vor uns liegt mit dem Tongariro Alpine Crossing eine anspruchsvolle alpine Wanderung, für die wir Muskelgruppen benutzen, die lange nicht beansprucht wurden. Das gibt einen Muskelkater wie nach der Großen Mauer.
Wir sparen uns die 60$ für das Shuttle und laufen die 10 km vom Camp zum Startpunkt des Trails. Dieser Teil ist mindestens so anstrengend wie der alpine Teil, wenn schon „by fair means“ zum Schicksalsberg, dann auch richtig. Drei Mal packe ich mich mit meinen chinesischen Laufschuhen in den Schlamm bevor wir dreckig und fertig den Startpunkt erreichen.
Neben den Kratern sind die smaragdgrünen alpinen Seen das Highlight der Gegend, in der viele Mordor-Szenen für „Der Herr der Ringe“ gedreht wurden. Wir haben Kaiserwetter und die Sicht reicht kilometerweit.
Wir sind deutlich schneller als erwartet, die Fitness macht sich bemerkbar. Der Plan war, nach der Hälfte umzukehren und zurück zum CP zu wandern. Die Mittagssonne schmilzt den gefrorenen Boden und verwandelt den Pass in eine Rutschpartie und wir entscheiden uns weiter zu laufen, wohl wissend, dass das ganze ein Mammutmarsch werden könnte.
Wir finden kein Shuttle und niemand will zwei Hitchhiker mitnehmen. Nach 5 km laufen entlang der Straße hält dann doch ein Auto. Ein junger Malaie rettet uns den Tag und bringt uns trotz Umweg direkt zum Zelt. Terima Kasih!
Wir sind jetzt schon eine ganze Zeit in NZ, wirklich angekommen sind wir aber noch nicht. Zwar haben wir schon einiges an Natur gesehen, auf der Kulturseite sieht es allerdings mau aus. Im Tongariro Nationalpark erleben wir zum ersten Mal den Massentourismus, der NZ vor große Herausforderungen stellt. In Fahrradkreisen wird schon länger diskutiert ob NZ noch ein lohnenswertes Ziel für Radreisense ist: alles wird eingezäunt, die Campingregeln verschärft (dabei gehts mehr um Campervans als um Radler) und das allgemeine Klima wird rauer. Wir hatten unsere Erwartungen angepasst und waren positiv überrascht, dass uns trotz der vielen Touristen neugierig und freundschaftlich begegnet wurde. Trotzdem waren wir uns einig, dass es sich bei Neuseeland zwar um eine nette Bekanntschaft handelt, die große Liebe ist es aber nicht und unsere nächsten Reisen werden eher in andere Weltgegenden führen – die letzte Einschätzung sollte sich in den nächsten Tagen jedoch grundlegend ändern.
Wir besuchen Glen in Feilding. Der erste Warmshowers Host, der uns von sich aus eingeladen hat. Glen ist begeisterte Radlerin und ist viel in Europa und auf beiden neuseeländischen Inseln geradelt. Als ehemalige Lehrerin verhilft sie uns zu den Einblicken, die uns gefehlt haben um NZ richtig einzuordnen. In vielen Dingen haben wir in Europa eine etwas naive Sicht auf das wilde Inselparadies am Ende der Welt. Soziale Spannungen wie im Rest der Welt gibt es auch hier und wir können uns mal richtig mit Einheimischen darüber unterhalten.
Der Abend mit Glen war grandios und am nächsten Tag sollte schon die nächste warme Dusche auf uns warten. Freunde von Team Oufti sind vor einem halben Jahr mit ihren beiden kleinen Söhnen und einer Menge Fahrrädern nach NZ gezogen und haben eine „cabin“ im Garten, voll gestopft mit Fahrraddevotionalien, die nur auf vorbeiradelnde Radreisende wartet. Die Herrin des Hauses ist Künstlerin und eines ihrer Werke steht bei einem Art Sale zum guten Zweck am Abend im Gemeindezentrum zum Verkauf. Mit einem Glas Rotwein bewaffnet stürzen wir uns ins Getümmel. Mit unseren Gastgebern und den Bekanntschaften der letzten Tage hat Neuseeland ein Gesicht bekommen, eines dass uns sehr sympathisch ist.
Wir verlassen unsere Gastgeber und damit auch das Familienleben mit Kindern – das hatten wir lange nicht. Wir begeben uns auf den Rimutaka Rail Trail und damit auf den Weg nach Wellington. Rail Trails sind immer cool. Wie die alte Dampflock zu Pionierzeiten schnaufen wir die Rimutaka Range hoch. Die letzten Tage hat uns wirklich jeder vor dem „Hill“ Richtung Wellington gewarnt, den man wohl nicht auf dem Highway überqueren sollte, wenn man noch heil ankommen will. Unsere Routenwahl ist auch sehr viel entspannter als der Highway, nur wir, der Schotter und der Native Forest.
Eine Flussdurchquerung und ein paar alte Tunnel später nähern wir uns Lower Hutt, einem Ort nahe der Haupstadt.
Der neuseeländische Importeur unserer Campingmatten hat sich gemeldet und wartet hier auf uns mit Ersatz. Tee und Kekse gibts auch noch und wir unterhalten die Mitarbeiter des kleinen Unternehmens kurz vor dem Feierabend mit ein paar Geschichten. Der lokale Holiday Park liegt mit 50$ deutlich über unserem Budget, deshalb geht es im Regen auf den Highway zum Campingplatz. Es wird langsam dunkel und wir müssen einen bemitleidenswerten Eindruck machen, sodass uns Gordon (mal wieder ein Lehrer) vom Straßenrand aufgreift und zu sich nach Hause einlädt, wo seine Frau Robin uns lecker bekocht und wir eine Nacht im gemütlichen Bett verbringen dürfen.
Auch das hatten wir lange nicht. Wir holen den Stapel mit Fotos heraus und unterhalten unsere Gastgeber bis spät in die Nacht bei lokalem Craftbeer. Es gibt zwei Arten von Neuseeländern, die die ihr Tal nie verlassen und solche, die die halbe Welt bereisen, Robin und Gordon gehören zur zweiten Gruppe.
Weiter gehts zum nächsten Vorort: in Porirua wartet Chris, der lokale Importeur der Rohloffnabe mit Flanschringen auf uns (ihr seht wir hatten einiges zu tun bevor es auf die Südinsel geht). Diese ermöglichen den Neuaufbau des Laufrades und verhindern ein endgültiges Ausbrechen der Speiche. Mit dem Truck von Chris geht es nach Wellington zum Laufradbauer:
Vorher haben wir noch Zeit Te Papa, dem Nationalmuseum, einen Besuch abzustatten.
Das momentane Highlight ist eine interaktive Ausstellung zur großen Schlacht der Neuseeländer und Australier im ersten Weltkrieg: Gallipoli. Auf der türkischen Insel kämpften die Mächte des Commonwealth gegen die Türken, die damals Verbündete von Kaiser Wilhelm waren. Unzählige Menschen haben dabei über Monate ihr Leben gelassen, am Ende haben sich die Neuseeländer, Australier und Briten geschlagen zurückgezogen. Es ist also ein wunder Punkt in der Geschichte Neuseelands, auch weil viele Kiwis dort einen Vorfahren verloren haben oder ein Familienmitglied in der Schlacht gekämpft hat. Am ANZAC-Day wird den Opfern der Schlacht gedacht, das ist nur ein paar Wochen her. Die Austellung ist sehr beeindruckend und lebt von den übermenschlich großen Figuren, die von Weta Workshop beigesteuert wurden, eine FX-Schmiede, die sich auch für die Kostüme und Effekte bei „Der Herr der Ringe“ verantworlich zeichnen. Leider schafft es die Austellung nicht, vom herosierenden Beginn den Bogen zu den Schrecken des Krieges zu schlagen, die kriegsverherrlichende Austellung erinnert uns leider zu sehr an das Holy Defense Museum in Teheran und hinterlässt einen etwas faden Beigeschmack.
Nichtsdestotrotz hat auch uns der Neuseelandvirus infiziert und mit all den Routentipps unserer Gastgeber ist ein Wiedersehen sehr wahrscheinlich.
In diesem Sinne,
Macht was draus. D+T
Etappen:
Taumarunui – Whakapapa: 54 km
Whakapapa – Ohakune: 57 km
Ohakune – Mangaweka: 86 km
Mangaweka – Feilding: 68 km
Feilding – Eketahuna: 89 km
Eketahuna – Featherston: 83 km
Featherston – Lower Hutt: 66 km
Lower Hutt – Porirua: 29 km
Kilometerstand: 20875 km