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USA VIII: Missouri – Mississippi Honeymoon

01.08.2017 – 08.08.2017

Wie versprochen gibt es vor Weihnachten noch den Missouri Beitrag. Wir wünschen Euch allen und euren Familien eine besinnliche Zeit zum Ende des Jahres, egal was ihr feiert. Die Zeit zwischen den Jahren ist eine Zeit zum Innehalten und Bilanz ziehen. Wir blicken in tiefer Dankbarkeit auf 2017 zurück, für uns ein Jahr der Gastfreundschaft, Nächstenliebe und Verständigung – gerade wenn wir an unsere Erlebnisse in Missouri zurückdenken. Unser Weihnachtswunsch ist, dass alle, die unsere Berichte lesen, die vollbepackten Reiseradler, die ihr unterwegs trefft ein bisschen so behandeln wie wir im letzten Jahr behandelt worden sind: ein kurzes „Welcome to Germany“ für Radler von weiter weg macht viel aus und falls ihr grad vom Einkaufen kommt und ein paar Brötchen zu viel gekauft habt: sharing is caring. In diesem Sinne ab nach Missouri, den „Show-Me State“, was auch immer das heißen soll.


Die Zeit in Missouri wird uns als Urlaub während der Tour in Erinnerung bleiben. Der ganze Stress ist von uns abgefallen, vor uns liegen überschaubare Etappen, endlich wird es kühler und es läuft einfach – wir können gar nicht glauben, was uns in den letzten Wochen alles gutes widerfahren ist. Endlich wird alles wieder grüner und vor uns liegt ein Bahntrassenradweg durch pittoreske und gastfreundliche Kleinstädte.

Wir erreichen den KATY-Trail – die Antithese zum Bikepackingabenteuer und praktisch die amerikanische Version des Donauradwegs. Das klingt für viele verwegene Radreisende wie der Albtraum, für uns bedeutet es mal wieder runterzukommen und die prägenden Erlebnisse zu verarbeiten. Benannt ist der KATY-Trail nach der Eisenbahnlinie, die dort früher Missouri, Kansas und Texas (M-K-T = Katy) miteinander verband.

Unser Budget ist knapp, sodass wir uns auf Wildcampen oder Zelten auf offiziellen Zeltplätzen entlang des Weges beschränken. Am Startpunkt des Trails zelten wir hinter dem Gemeindezentrum. Es gibt eine riesige Multisporthalle mit Duschen und Sanitäranlagen inkl. Wifi – alles für lau. Wir gehen zu unserem ersten Aldi in Amerika und holen uns das Craftbeer der Woche (sic!) bevor wir einem gemischten Amateurbaseballteam beim Sport zuschauen.

Wir brauchen nur kurz anhalten, sofort kommen wir mit den Leuten ins Gespräch – mit vollem Gepäck fallen wir auf, sowohl den anderen Radlern als auch den Passanten.

Wir erreichen den Missouri River, an dem wir mehrere Tage entlang fahren werden. Kasinos dürfen hier nur auf dem Wasser gebaut werden, das Gesetz in Missouri erlaubt kein Glücksspiel an Land.

In Portland, Missouri – nicht Oregon – kommen wir in der Dämmerung zu einem Campingplatz und treffen zwei andere Radler – Timothy aus Kentucky, Ultralangdistanzfahrer, komplett in weißes Lycra gewandet und Ben aus Virginia, seines Zeichen Gründer und President eines Fahrradpendlerclubs in Washington D.C. und mit Kutte und Clubfarben leicht zu erkennen. Unsere „Fellowship of the chain ring“ – die Gemeinschaft des Kettenrings – wird komplettiert von uns zwei deutschen, braungebrannten Radlern auf großer Tour – sicherlich ein Anblick in der winzigen Dorfkneipe. Genau die sollte unser nächstes Ziel sein.

Slapstickmäßig drehen sich dann auch alle Besucher zu uns um, als wir Holzhausen’s Bar and Grill betreten. Von unseren Mitstreitern lernen wir viel über das Radfahren in den USA, über Bourbon (der uns deutlich besser mundet als sonst), und dass der NAACP, gerade alle Afroamerikaner vor Reisen nach Missouri warnt (im Museum in St. Louis sollten wir noch mehr über die Gegend und ihre Bedeutung für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung erfahren). Uns gegenüber sind die Leute sehr aufgeschlossen, so dauert es nicht lange, bis sich zwei mittelalte Ladys in unsere Richtung begeben, die allen europäischen Klischees zu Amerikanerinnen im mittleren Westen genügen sollten, inklusive Gastfreundschaft. „Wir haben euren Akzent gehört, das klingt ja so gar nicht nach der Gegend“,“Ohh, Deutschland, wir lieben Deutschland“. Auf die Frage, was wir in Deutschland so für Schnaps trinken (Peppermint, what else?) kann es nur eine Gegenfrage geben: „Und was trinkt ihr hier so?“, „Fireball Whiskey“. Das hatten wir noch nie gehört. Bevor wir uns an die nicht sehr erquickliche Vorstellung von Jim Beam mit Zimt gewöhnen konnten, war die erste Runde schon bestellt. Wir hatten einen guten Abend…

Als am nächsten Morgen die Sonne durch das Zelt scheint und wir etwas verschlafen unsere Sachen packen, ist unser Freund aus Kentucky schon an unserem Zielort für diesen Tag angekommen(!) und hat die erste Runde Bier für uns schon bezahlt (wie gesagt, Ultra-Radfahrer). Wir entscheiden, uns mit Ben auf den Weg zu machen – endlich mal wieder Begleitung beim Pedalieren. Während der beiden kommenden Radtage lernen wir von Ben mehr über die USA, als wir unter normalen Umständen in 3 Monaten hätten lernen können – ein super cooler Typ …. und ein sehr großzügiger, wie sich später zeigen sollte.

Wir sitzen also abends im Biergarten und genießen das IPA, das Timothy schon für uns bezahlt hatte, als Ben uns eröffnet, dass wir heute nicht mehr weiter fahren müssten um ein Platz zum Wildzelten zu finden, er hätte uns die Honeymoon-Suite im Edelweiss, dem lokalen Bed and Breakfast gebucht. Das nächste Bild entstand genau in dem Moment, als uns diese Aussicht eröffnet wird und wir freudig darauf anstoßen:

Das Edelweiß ist der Knaller, und genauso klischeehaft wir unser Abend im Holzhausen’s. Unser Radelkumpel kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr ein solcher Abend auf unserer To-Do-Liste stand. Perry, der Besitzer des B&B überreicht uns die complimentary bottle of wine, aus dem angrenzenden Weingut und versucht uns mit der Fernbedienung Netflix (strike!) einzustellen. Perry trägt sein Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden, Shorts und Muskelshirt. Seine Erscheinung wird durch die Knasttattoos abgerundet. Spätestens seit unserem Treffen mit dem Junggesellinnenabschied im Biergarten eine Stunde zuvor fühlen wir uns sowieso wie in einer Sitcom (unser Glück fassen können wir eh nicht), der folgende Dialogausschnitt von Perry und unserer Zimmernachbarin ist so showreif, dass wir ihn euch nicht vorenthalten wollen:

„Hi Larry“

„Hi, ich heiße Perry – aber du kannst mich nennen wie du willst, Honey“, sprach er, während er kläglich scheiterte, uns Gilmore Girls bei Netflix einzuschalten, die Weinflasche in der anderen Hand, während hinter uns der Jacuzzi sprudelte. Da standen wir, durchgeschwitzt und mit Staub bedeckt und wussten nicht so recht, was uns passiert.

Am nächsten Morgen kuscheln wir uns den Weg aus den 18 (!) Kissen und machen uns bereit für die letzte Etappe nach St. Louis.

Ben lässt es sich nicht entgehen, uns bei der Einfahrt in die zweitgrößte Stadt Missouris noch auf eine Runde Fireball einzuladen – ein würdiger Abschluss einer kurzen aber intensiven gemeinsamen Tour. Danke, Ben.

Auf uns warten schon die nächsten tollen Leute. Über Warmshowers haben wir Gastgeber gefunden, die uns sogar über einen Pausetag in der Stadt des Bieres beherbergen wollen. Fahrradfahrer sind einfach gute Leute: wir übernachten bei Begründern der Critical Mass Bewegung, er Softwarepionier bei Oracle, sie Künstlerin. An unserem Pausetag werden wir von den Klängen einer 65er Strat von der Veranda geweckt. Wir helfen bei der Apfelernte und schälen ungefähr 10 Kilo Äpfel – unsere kleine Rückzahlung für die Übernachtung. Die Heimatstadt der Cardinals (nach dem Kardinalsvogel, den wir am KATY-Trail auch in echt erleben durften) bietet viel zum entdecken, wir gehen durch den gratis innerstädtischen Zoo, der nur deshalb keinen Eintritt kostet, weil große Bereiche u.A. von Monsanto gesponsert werden.

St. Louis gefällt uns hervorragend und nach nur einem Pausetag geht es schon wieder weiter mit dem nächsten Abenteuer: die Fahrt mit dem AmTrak über Chicago nach Buffalo, New York.

Unsere Räder fahren im Gepäckwagen und wir sitzen in luxuriösen Sesseln, die die Größe einer Studentenwohnung in Deutschland haben, gab es in China in jedem Abteil Heißwasserautomaten, sprudelt hier das Eiswasser aus der Wand des Waggons.

Chicago, Windy City, der Inbegriff einer Wolkenkratzerstadt erwartet uns. Wir erleben Chicago von seiner Sonnenseite, mit Freiluftkino (es läuft „Nachricht von Sam“, mit Whoopie Goldberg, die aus der Stadt stammt und deren Auftritt jedes Mal für Applaus sorgt), gutem Wetter, Bier und Essen.

Weiter gehts zum AmTrak, wir checken auf den letzten Drücker in den Nachtzug ein, fast werden wir nicht mehr mitgenommen – wieder gibt es eine Sonderbehandlung für uns (wir haben schon ein schlechtes Gewissen). Im Zug mit uns fahren nur Amische und Afroamerikaner. Neben uns sitzt Elliot aus Cleveland, Ohio, der uns aus dem bewegten Leben eines Bürgerrechtlers und Pflegevaters für 40 Kinder erzählt. Elliot unterhält den halben Zug mit unserer Geschichte, nachdem wir sie ihm erzählt haben und malt uns ein Bildnis des Gekreuzigten in A4 zum Abschied. Völlig fertig schlummern wir ein. Nächstes Ziel: der Staat New York.

La Cygne – Clinton: 111 km

Clinton – Sedalia: 72 km

Sedalia – Rocheport: 95

Rocheport – Portland, MS: 112 km

Portland – Augusta: 85 km

Augusta – St. Louis: 79 km

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