Das längste Brevet dieses Jahr sollte für uns neben Berlin auch im fernen Ostfalen stattfinden. Der mystische Ort Ostfalen liegt im Bermudadreieck zwischen Braunschweig, Magdeburg und Helmstedt.
Im kleinen Ort Warberg wohnt Hartmut zusammen mit seinem Velomobil und organisiert Brevets – und das sollte unser Ziel sein. Die Anreise am Vorabend verläuft entspannt, wir sitzen mit der lokalen BMX-Gang im Regio, im Schein der blauen Beleuchtung des Fahrradabteils konsumiert die Dorfjugend blaues Energybier und bringt sich auf Betriebstemperatur für den anstehenden Dorfbums. An uns ziehen einladende Landschaften vorbei – die Vorfreude steigt.
Wir gönnen uns hart und beziehen eine Ferienwohnung in Helmstedt über dem lokalen Angelladen – wir entscheiden uns für die Ausführung „Barsch“ und haben sogar eine Badewanne. Gestärkt mit Pizza und Paderborner wird es Zeit für den Schönheitsschlaf, bevor es am nächsten Tag in aller Frühe in den Nachbarort gehen sollte.
Dort stehen schon die ersten Velomobile in der Einfahrt. Wir treffen Artjom aus Berlin, Dieter aus Bayern (mit ihm haben wir gute Erinnerungen an viel Gegenwind entlang der Oder, dem wir gemeinsam getrotzt haben) und Michael aus Hannover. Natürlich ist auch Tobias dabei, er hat uns vor Jahren auf dieses Brevet aufmerksam gemacht, ist es doch ideal für Liegeräder geeignet.
Die letzte Sonnencreme auf die Nase und los gehts. Die Räder sind frisch gewartet und bereit für das lange Abenteuer, genau wie wir.
Wir sind ein paar Kilometer unter perfekten Bedingungen unterwegs, da bemerke ich ein Knacken – das ist neu. Der Freilauf hört sich echt scheiße an und da ist es passiert: Ich trete ins Leere. Immer mal wieder. In meinem Kopf gehe ich panisch das Worst Case Szenario durch: Die Nabe gibt auf, ich stehe im Niemandsland und kann mir die Quali abschminken.
Im nächsten Kaff gibt es einen Fahrradladen: „Hä, was ist das denn fürn Hersteller? Bei der nächsten Nabe musst darauf achten, dass auf der Nabe Shimano steht, S-H-I-M-A-N-O.“ Dann werden die Ritzel gezählt, bei 11 angekommen, lautet das Ergebnis: „Gibbet nicht.“ Trotz allem versuchen die Jungs ihr bestes, den Freilauf zu richten und wir schauen über einen gewissen Mangel an Expertise und eklatanten Sexismus hinweg: „Wenn du Fixie willst, sucht euch doch nen Zimmer“, auf unseren Vorschlag die Nabe zu fixieren.
Unverichteter Dinge gehts weiter: 555km to go mit einem nervenaufreibenden Nabensound und dem ständigen Nagen im Hinterkopf, dass es gleich vorbei sein könnte.
Pfff…, klingt es aus Tonis Vorderrad und langsam dämmert es uns, dieses Brevet soll eine echte Prüfung werden.
Die Strecke ist ein Traum. Kaum haben wir an der ersten Kontrolle ein Eis eingeworfen, vergessen wir unseren Kummer für einen Moment und surfen auf dem Sugar High durchs alte Land.
Den Halbzeitpunkt Kühlungsborn erreichen wir leider erst nach Sonnenuntergang – es ist mittlerweile bitterkalt. Die Tanke, die als Kontrolle dient, hat mittlerweile geschlossen. Der Tankwart ist auf dem Sprung nach Hause und fragt uns freundlich, was wir hier treiben. Er hat heute schon einige von unserer Sorte gesehen. Für die digitale Brevetkarte brauchen wir seinen Stempel zum Glück nicht mehr, aber wir müssen an der Tanke unsere GPS Koordinaten einchecken und ein Foto als Beweis hochladen. Ein Auto fährt vor und der Mann, der aussteigt, will tatsächlich an dem Automaten, an den wir unsere Räder gestellt haben, frische Eier kaufen. Um Mitternacht. Tja, in McPomm wohl das einzige, das man 24h lang kaufen kann. Wir ziehen uns lange Sachen an und fahren schnell weiter. Die Ostsee sehen wir heute nicht.
In Bützow bleiben wir über Nacht. 3h Schlaf sind für uns drin. Das erneute Losradeln fällt uns schwer, die Kälte steckt uns in den Knochen, steif und verspannt sitzen wir auf den Rädern, bis die Sonne die müden Muskeln aufweckt. Ohne Frühstück ist das Radeln zäh und die Stimmung sinkt mit dem Blutzuckerspiegel. Nichts gehts mehr, als wir das nahe McDonalds pünktlich zur Öffnung erreichen. Wir haben für heute 60km auf der Uhr und große Lust auf Rührei.
Noch freuen wir uns über die warmen Strahlen, aber wenig später suchen wir jede schattige Gelegenheit, die uns vor der unerbittlichen Sonne schützt.
Wir nähern uns dem Zeitpunkt, an dem ein 600er Brevet nervig wird. Die Dichte der Kontrollen nimmt wieder zu und Eis und Cola halten uns bei Laune. Endlich sehen wir auch wieder andere Randonneure und der gelbe Blitz am Horizont stellt sich als Tobias heraus, den wir früher am Tag verloren hatten. Gemeinsam geht es auf die Zielgerade.
Kurz vor Sonnenuntergang ist genau unsere Zeit und wir fliegen nur so dahin. Wir freuen uns über bekannte Wege durch die Magdeburger Börde. Die letzte Kontrolle in Alleringersleben ist erneut bei einem McDonalds.
Wir klatschen ab, geschafft! Jetzt schnell die Sonnencreme und die toten Fliegen von den Armen waschen, dann noch zum Abschluss zu Hartmut nach Hause, der uns mit Bier und Brötchen begrüßt. Mittlerweile ist es dunkel. Knappe 37h waren wir unterwegs, 640km später sind wir wieder in Warberg. Das war eine echte „Prüfung“, die den Namen verdient. Die Nabe hat gehalten. Beschwingt gehts um Mitternacht zum Hotel, nur noch ein 400er Brevet bis zur PBP Qualifikation!
Am nächsten Morgen gehts es entspannt zurück nach Hause. Wir schauen uns die historische Altstadt an und nehmen den gleich Weg zurück wie auf dem Hinweg. Im Zug treffen wir dann noch Artjom, mit dem wir die Fahrt bis Berlin durchquatschen, besser gehts nicht!
Das war ein Brevet, das den Namen verdient. Dieses Mal war es vor allem eine mentale Prüfung – auch diese konnten wir meistern und fühlen uns bereit für Paris. Jetzt noch ne Woche schlafen, dann kommt der 400er.
Macht was draus!
T+D
PS: Wenn ihr unsere Spendenaktion unterstützen wollt, freuen wir uns wie Bolle: https://www.target-nehberg.de/de/world-ahead-1200-km-fuer-den-guten-zweck
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