,

USA II – California: Geisterstunde im Tal des Todes

07.06. – 17.06.2017

Wir erleben den Yosemite Nationalpark an einem historischen Moment: der amerikanische Kletterer Alex Honnold klettert den El Capitan, alleine und ohne Sicherung, also free-solo.

Die Kletterer aus dem Interview im Video treffen wir vor dem El Capitan, nach dem Abstieg, auf ihrem Weg ins legendäre Camp4 (wir stehen früh auf um einen Zeltplatz zu ergattern, haben aber keine Chance). Wir unterhalten uns über das woher und wohin und uns interessiert brennend, wie ihre Besteigung gelaufen ist. Einer der Kletterer trägt eine Castellimütze und kommt aus Las Vegas. „Das liegt ja auf unserer Route“, „Cool, dann kommt doch vorbei.“ Wir sind uns auf Anhieb sympatisch und wir können unser Glück mal wieder nicht fassen.

Damit haben wir schon mal eine Unterkunft in Vegas. Das ist super, denn seit unserer letzten Warmshower hatten wir kein festes Dach mehr über dem Kopf und bei einem Local und Fahrradfahrer unterzukommen ist genau das richtige für die stressige Glitzermetropole in der Wüste Nevadas. Das Camp4 ist wie gesagt gegen Mittag schon voll und alle anderen Campsites sind eh schon seit Monaten ausgebucht, also drehen wir eine ausgiebige Runde durchs Yosemite Valley, bevor es am anderen Ende wieder hinaus geht.

Erste Station: der Half-Dome, manchen von euch vllt. bekannt vom Logo eurer The North Face Jacke (es handelt sich dabei um eine abstrakte Darstellung der Nordseite des Berges). Für mich einer der schönsten Hügel und etwas was ich schon immer mal in echt sehen wollte.

Das nachste Ziel ist der El Capitan. Die legendäre Wand im Valley. Hier stehen wir und beobachten die Kletterer in einem Portaledge, einem hängenden Zelt fur mehrtägige Touren, als wir Bryan, so heißt unser zukünftiger Gastgeber aus Las Vegas, und seine Kletterkumpels treffen.

In Yosemite vollenden wir unseren nächsten Meilenstein: 22000 km.

Das muss natürlich gefeiert werden, unser Meilensteinbier muss aber noch warten. Erstmal geht es auf einer schnellen und wunderschönen Abfahrt raus aus dem Nationalpark in den angrenzenden National Forest. In National Forests kann man legal wildcampen, oft gibt es sogar extra dafür vorgesehene Plätze mit minimaler Ausstattung. Mal wieder ungeduscht und durchgeschwitzt erreichen wir am nächsten Tag Oakhurst am Rande des Waldes und gönnen uns einen Pausetag in der sympatischen Kleinstadt und probieren zum ersten Mal Taco Bell aus (nach einem Monat in den USA immer noch unsere Lieblingsfastfoodkette mit sauberen Toiletten, vegetarischen Burritos für einen Dollar und endlosen Sodafountains). Auf dem Campingplatz treffen wir Phil aus Colorado, ein Vietnamveteran, der 12 Jahre mit seiner Harley durchs Land gefahren ist und als halb Ire, halb Apache, der einzige blauäugige Stammesbruder ist. Der gute Mann hat einige Geschichten zu erzählen und sprengt jedes Klischee. Am meisten interessieren ihn unsere Bilder von Vietnam. Ein Teil seiner und der amerikanischen Geschichte, den er sehr refklektiert einordnet. Das Meilensteinbier bekommen wir im lokalen Liquorstore natürlich auch, sodass wir unseren Pausetag richtig genießen konnen. Unser nächstes Ziel ist der Sequoia Nationalpark, dafür heißt es erneut klettern, wieder stellt sich die Sierra Nevada in den Weg.

Nach 60 km Aufstieg erreichen wir den Park und bauen unser Zelt direkt unter einem der Baumriesen auf. Der Interagencypass, also der Eintritt für alle Nationalparks für ein Jahr kostet für uns beide 80 Dollar, ein Betrag, der sich schnell lohnt, wenn man mehrere Parks besucht. Auch die Campingplätze in den Parks sind gut und bezahlbar. Direkt neben dem Campground ist der „General Grant“ Sequoia, der drittgrößte Baum der Welt. Alle Welt interessiert sich nur fur den „General Sherman“, den größten Baum, weiter unten im Park, so haben wir die schönste Stelle im Park und den, unserer Meinung nach, beeindruckensten Baum fast für uns alleine.

Die Nacht ist unruhig, Blitz und Donner gehen zum Glück schnell vorbei. Der schwere Regen stellt sich am Morgen dann als Schnee heraus und unsere Umgebung ist wie gepudert – das hatten wir in Kalifornien nicht erwartet, zum Glück schleppen wir immer noch (im Gegensatz zu vielen anderen Campern hier) die schwere Winterausrüstung mit uns umher.

Genau wie im Yosemite gibt es hier Bären und wir achten peinlichst genau darauf unser Essen in die bärensicheren Boxen zu verpacken. Das Ganze machen wir weniger zu unserer, als zur Sicherheit der Bären. Ein Bär, der einmal an leichtgewonnenes menschliches Essen gewöhnt ist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein toter Bär, weil er irgendwann zu gefährlich wird und in der Konsequenz abgeschossen wird.

Nebel und Schnee verleihen dem Park eine besondere Aura und wir genießen den schnellen Weg abwärts aus dem Wald.

Zwei Tage bergauf, zwei Stunden bergab, auf einer wunderschönen Serpentinenstrasse. Eine der besten Abfahrten dieser Tour (das sollten wir in den nächsten Tagen noch ein paar Mal sagen).

Der Unterschied zur Welt im Tal ist enorm, die Wüste Kalifoniens hat uns wieder und hier beginnt der Wilde Westen.

Wir schwitzen uns in Richtung Osten, wir kommen günstig voran, übernachten auf free campgrounds und wollen uns am Lake Isabella mal wieder einen Pausetag auf einem RV Park gönnen. Es gibt einen Pool, Duschen, Waschmaschinen und sogar Wifi. Fur solchen Luxus bezahlt man hier faire 30 Dollar pro Tag, pro Site. Wir kommen mit der Platzwirtin und den Besitzern ins Gespräch, sie sind begeistert von unserem Vorhaben, die USA zu durchqueren und haben uns bereits auf der Strasse gesehen. Kurzerhand werden wir für zwei Tage eingeladen und können die Batterien mal wieder richtig aufladen (auch im buchstäblichen Sinne laden wir die Akkus fur Kamera und Co. nachts auf dem Klo auf).

Wir verlassen Lake Isabella und befinden uns erneut in der Rekordhitze der kalifornischen Wüste. Im Schatten eines Baumes an einer Raststätte treffen wir einen Biker, der uns mit gefrorenem Bier versorgt (medizinisches Marihuana hätten wir auch bekommen können). Am Pass angekommen ist das Bier noch eiskalt und gerade passend bei 50 Grad im Schatten. Wir nähern uns Death Valley mit grossen Schritten, Eis gibt es in den 1-Dollar Stores fur kleines Geld und wir kühlen uns und die Getränke, so oft es geht.

Wir sind von unserem Pausetag noch gut erholt und entscheiden abends, bei immer noch 50 Grad, dass wir eine Nachtetappe einlegen sollten, um die Hitze zu meiden (nachts kühlt es vor dem Valley auf 35 Grad ab), ein langweiligeres Stück zu überbrücken und den Sonnenaufgang über dem Death Valley zu erleben.

Die Nachfahrt ist spektakulär. Wir haben größtenteils enormen Rückenwind und rauschen mit 50 km/h durch die Wüste, neben uns Jackrabbits (känguruähnliche Hasen), hinter uns die Lichter der Stadt, in der wir die letzten Stunden bei Eiskaffee und Burritos Energie getankt hatten, und über uns die Milchstraße.

Wir erreichen den Beginn des eigentlichen Parks im Morgengrauen. Wir kommen zur Kreuzung nach Lone Pine. Diese Straße nehmen auch die Athleten des Badwater Ultramarathons, des härtesten „footraces“ der Welt, dieses geht vom Badwater Basin im Death Valley, dem tiefsten Punkt der USA (279 Fuss / 85 m unter Meeresniveau), bis zum Gipfel des Mount Whitney (8360 Fuss /2548 m) , dem höchsten Punkt der zusammenhängenden USA (also abgesehen vom Mc Kinley in Alaska) über die Distanz von 135 Meilen (217 km). Dieses Rennen hat mich schon immer fasziniert und war der Hauptgrund, weshalb ich schon lange ins Death Valley wollte. Wir beide steigen vom Rad und joggen einige Meter auf dieser legendären Strecke, während die Sonne über dem heißesten Ort auf diesem Planeten aufgeht (57 Grad uber einen längeren Zeitraum – dieser Rekord wird diesen Sommer vllt. nach vielen Jahren wieder gebrochen). Mit unserer bisher längsten Etappe haben wir den nächsten Meilenstein erreicht, 23000 km. Mit dem Sonnenaufgang beginnt auch unser Jahrestag, seit 11 Jahren fahren wir gemeinsam Fahrrad, vor etwas mehr als einem Jahr haben wir uns entschieden zu heiraten und auf dieses Reise zu gehen.

Vor genau einem Jahr haben wir  Istanbul verlassen, bzw. wir haben versucht die Bosporusmetropole zu verlassen. Völlig fertig von der Hitze, den Nachwirkungen unserer langen Pause mit viel Efes, den extrem steilen Anstiegen und der schieren Größe der Stadt waren wir damals am Verzweifeln. Mit Tränen in den Augen fragten wir uns, wie wir jemals China, Singapur oder auch nur Georgien, das nächste Land unserer Reise erreichen sollten, wie sollten wir die ganzen Visa organiseren und jemals all das schaffen, was wir uns vorgenommen hatten. Nun, am Rande des Tal des Todes, nach 23000 geradelten Kilometern, 20 durchquerten Ländern und erschöpft von der längsten Etappe unserer Tour, sind wir unendlich dankbar und zufrieden ob des Erreichten. Im letzten Jahr sind wir zu authentischeren Versionen unserer Selbst geworden und zu einem noch besseren (Fahrrad) Team.

Vor uns liegt ein super nerviger Anstieg, der nach knapp 260 km ohne Schlaf die letzten Körner aufbraucht.

Nach einer Abfahrt, bei der uns die heiße Luft aus dem Tal wie ein Fön (oder besser wie ein offener Backofen) ins Gesicht bläst, erreichen wir um 9 Uhr morgens das eigentliche Tal. Es herrschen erneut 50 Grad im Schatten.

Wir starten unseren ersten Versuch, das Tal zu durchqueren und stoppen bei der ersten kleinen Siedlung in Stovepipe Wells. Hier gibts es ein Hotel und einen Laden. Wir füllen unsere Elektrolyte mit Powerade auf (das werden wir die nächsten Stunden alle 30 Minuten machen, bis die Salzkruste am Shirt immer dicker wird) und entscheiden, bis zum Nachmittag zu warten. Motiviert von einem Motorradfahrer, der meinte, es könne nicht immer alles perfekt und komfortabel sein, starten wir unseren zweiten Versuch gegen 16 Uhr. Das Thermometer am Rad zeigt 55 Grad an. Der Wind ist so heiß, dass man direkt merkt wie die Haut verbrennt, Atmen ist nur durch ein feuchtes Tuch vor dem Mund möglich. Die Bremsgriffe werden zu heiß, um sie zu betätigen, das Fahrgefühl ist schwammig und die Reifen verlieren Gummi auf dem heißen Asphalt – bloß nicht stehen bleiben: die Steine neben der Strasse sind 100 Grad heiß (zur selben Zeit verliert eine Touristin in den angrenzenden Dünen ihre Sandalen und läuft den Weg zur Station, in der wir warten – und wird mit Verbrennungen dritten Grades an den Füßen ins Krankenhaus gebracht). Nach 6 km kehren wir um. Das Risiko ist zu groß, eine Panne zu haben, die 40 km bis zum nachsten Ort sind unter diesen Umständen für uns unschaffbar (bzw. der Preis ist zu hoch). Die Natur zeigt uns unsere Grenzen deutlich auf, bis hier hin und nicht weiter. Wir kehren um.

Im ersten Moment kommt dies für uns einer Niederlage gleich. Wir wurden gemessen und gewogen und für nicht gut genug befunden (bzw. wir hatten die Bedingungen unterschätzt und waren trotz unserer Wüstenerfahrung zu leichtsinnig und zu schlecht ausgerüstet, unser Wasser war bspw. nicht isoliert, man hat schon verdurstete Wanderer neben vollen Wasserflaschen gefunden, mit einem Inhalt, der zu heiß zum Trinken war) – Radfahren im Death Valley ist einfach etwas ganz anderes. Die Temperatur (die sich auch in der Nacht nicht abkühlt) ist dabei gar nicht so das Problem wie der extrem heiße Wind. Bei 50 Grad sind wir schon öfters gefahren (auch z.B. in Aserbaidschan), bei so einem Wind noch nie. Auf solche Weise seine Grenzen aufgezeigt zu bekommen, und die Einsicht früh genug umzukehren, lässt uns am Ende doch zufrieden auf unser heißestes Abenteuer zurückschauen.

Wir können nicht vor und nicht zurück. Was also tun?

Auf der Straße Richtung Chiang Mai in Nordthailand hatten wir Anna getroffen, kurz vor DV schrieb sie uns, dass auf der anderen Seite des Valleys ein super nettes Warmshowerspärchen wohnen würde, das wir unbedingt besuchen sollten. Wir checken unsere Mails in Stovepipe Wells und finden eine Zusage von den Beiden in unserem Emailpostfach und den Hinweis auf die extreme Hitzewarnung, die der Staat Nevada herausgegeben hat. Sie raten uns tunlichts davon ab im DV zu radeln (von unserer Nachtetappe wissen sie nichts), notfalls würden sie uns mit ihrem Auto aus dem Park holen. Diese Episode gibt es dann beim nächsten Mal 😉

Bis dahin,

Macht was draus

Etappen:

El Portal – Yosemite NP: 96 km
Yosemite – Oakhurst 30 km
Oakhurst – Riverbend 108 km
Riverbend – Grant Grove: 66 km
Grant Grove – Three Rivers: 91 km
Three Rivers – Tule: 93 km
Tule – Cedar Creek: 108 km
Cedar Creek – Mountain Mesa: 40 km
Mountain Mesa – Stovepipe Wells: 259 km

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Translate »