Flèche Allemagne 2022: Aperol Spritztour

La flèche [flɛʃ] SUBST f – der Pfeil

Bei der Flèche Allemagne handelt es sich um eine Sternfahrt zur Wartburg. Der Startpunkt und die Route des 3-5 Personen umfassenden Teams kann selbst gewählt werden, wichtig ist nur, dass mindestens 360km zurückgelegt werden – in exakt 24 Stunden.

In der Idee fahren die Randonneure also morgens um 9 Uhr irgendwo in Deutschland (oder dem angrenzenden Nachbarland) los und kommen alle um 9 Uhr am nächsten Morgen auf der Wartburg an. Diesmal findet das ganze Spektakel am 1. Mai-Wochenende statt.

Als wenn das nicht cool genug wäre, ist die Flèche auch noch eine Voraussetzung, um die Superrandonneur5000-Medaille zu bekommen – ihr wisst ja, ich steh auf Medaillen.

Unser Teamname ist Aperol Spritztour (die Gründe für diese Namensgebung liegen irgendwo tief in den Annalen des Northcape4000 verborgen – und vielleicht wurde bei unseren konspirativen Teamtreffen auch der ein oder andere rote Durstlöscher konsumiert). Arbeitstitel der Tour war ursprünglich „Lutherpower“ – wenn es schon auf die Wartburg geht, dann wollten wir auch durch Wittenberg, Eisleben und andere Wirkungsstätten von M.L. An dieser Stelle großen Dank an unseren Teamkapitän Tobias, der sich von den ganzen Regeln zur Routenplanung nicht hat abschrecken lassen und unsere grandiose Strecke geplant hat.

Unser Team bildet die Breite der verschiedenen Randonneure ab, Phelim – klassischer Vintage Randonneur mit viel Erfahrung, Tobias mit Liegerad, ich auf dem modernen Titan All-Road-Bike, und Toni mit ihrem Alu-Renner.

In der Vorbereitungsphase geht es natürlich nicht ohne Drama ab – Tonis Kettenblatt knarzt schon seit einigen Ausfahrten. Eine neue Kette hilft nicht, da kam das Geräusch wohl nicht her. Und da ihre sonst übliche Taktik des Ignorierens die Sache nicht besser macht, muss sie dann doch irgendwann zum Fahrradladen, der ihr prompt den Tod ihres großen Kettenblatts verkündet. RIP. Ein neues muss her und am besten auch noch passend – die Suche gestaltet sich dank Lieferkettenproblemen extrem schwer. Zum Glück sieht eine befreundete Fahrradmechanikerin Tonis Hilferuf und bestellt ihr kurzerhand ein neues Set in 50/34. Tausend Dank an Jenny! Einen Tag vor Abfahrt bauen die Jungs von Pankerad die neuen Blätter noch schnell an, dann kann es losgehen.

Am Start im Grunewald geht erstmal alles schief: Die digitale Brevetkarte klappt nicht, weil mein iPhone die Ortung nicht zulässt (wir hatten natürlich getestet, aber nur mit Tonis Handy). Zum Glück ist in unserer Reisegruppe einiges an technischer Fachkompetenz versammelt, sodass wir nach kurzer Verzögerung starten können.

Die ersten Kilometer auf vertrauten Strecken sind unspektakulär. Irgendwann entscheidet sich jetzt auch Toni mal eine Pinkelpause einzulegen (mit der neuen Rapha Buxe mit pinkelfreundlichem Magnetverschluss).

Beim Abbiegen am Waldesrand zur Pinkelstelle verliert Toni im Schotter etwas die Bodenhaftung und stürzt – keine Angst, dem Rad geht es gut! Toni allerdings schlägt sich das Knie auf – ist nach dem kurzen Schock aber froh, dass nichts schlimmeres passiert ist.

Also weiter entlang der schönen Route, bei bestem Wetter. Die Randonneure aus dem Südwesten Deutschlands, die wir später noch treffen sollten, berichteten von endlosen Regenpassagen.

Wir kommen super voran und genießen die von Tobias geplante Liegerad-taugliche Rennstrecke, die die Höhenmeter auf das notwendigste reduziert. Wir durchfahren viele uns bisher unbekannte Gegenden, besonders schön ist das Weinanbaugebiet westlich von Halle, das wir im Abendlicht durchqueren.

Auch die Gesamtstrecke ist auf das Minimum reduziert, was uns zwei längere Pausen am Abend und in der Nacht ermöglichen sollte. Die erste Pause legen wir beim Burgerbrater unseres Vertrauens in Eisleben ein und bereiten uns mit Kaffee und Fritten auf den Ritt in die Nacht vor. Jetzt noch einmal die Sonnencreme aus dem Gesicht waschen, langes Oberteil an und es kann weiter gehen.

Frisch gestärkt und mit perfektem Asphalt unter den Pneus ballern wir über breite und leere Landstraßen – tagsüber ist es hier bestimmt voll. Heute Nacht brennen viele Maifeuer und wir merken, dass wir in Thüringen angekommen sind, am Dialekt der Party People, die uns johlend anfeuern.

Nachts an einer Tankstelle trinken wir einen Kaffee, als eine Frau aus ihrem Wagen aussteigt und uns verdattert fragt, was wir hier um diese Uhrzeit machen und dann auch noch auf der Hauptstraße und nicht auf Radwegen. Ihrer Meinung nach ist es hier viel zu gefährlich für uns. Dann kauft sie an der Tanke zwei Bier und steigt damit wieder ans Steuer. Jetzt wissen wir auch, warum es so gefährlich sein soll.

Zu Beginn war ich von der Idee, in den Morgenstunden irgendwo Pause zu machen und vielleicht ein paar Stunden zu schlafen, nicht sehr angetan – bedeutet das doch, dass wir Isomatte, Penntüte usw. bis zur Wartburg schleppen müssen. Jetzt gerade scheint mir die Idee, mich auszustrecken und ein bisschen Augenpflege zu betreiben, sehr reizvoll. Auch wenn man bei solchen Unterfangen selten wirklich schlafen kann, ein kurzer Powernap oder zumindest ein bisschen Ruhen wirken wahre Wunder für die Fitness und Motivation. Wir fahren zu einer Schutzhütte kurz vor Erfurt, in der wir uns etwas ausruhen können und unsere Tour wird ein schönes Stück abenteuerlicher.

Als wir zum Sonnenaufgang wieder auf die Räder steigen sind zumindest Toni und ich uns nicht so sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war mit dem Ruhen – gefühlt haben wir kein Auge zugetan und frieren die ersten Kilometer ziemlich, zusätzlich sitzt uns jetzt die Zeit im Nacken und wir stressen uns zur nächsten Tanke, die unseren Checkpoint darstellt. Damit alle Randonneure auch möglichst gleichzeitig ankommen, gibt es für die letzten Checkpoints strenge Zeit- und Kilometervorgaben. Wir machen uns umsonst Stress, alles läuft reibungslos, uns wird wieder warm auf dem Rad und wir merken, dass die nächtliche Pause doch ziemlich gut war für die Erholung. Pünktlich zur blauen Stunde erwartet uns Erfurt mit ein paar leichten Steigungen.

Die letzten Kilometer rollen halbwegs gut, auch wenn mich meine Gruppe kurz vor dem Ziel noch etwas hängen lässt und ich ein paar Kilometer allein im Wind bin, bevor wir uns in Eisenach wieder treffen. Wir treffen die ersten anderen Randonneure und auch Reisegruppen mit bekannten Gesichtern aus Berlin, die Stimmung steigt und wir freuen uns auf den geselligen Ausklang dieses Abenteuers an der Wartburg.

Der Aufstieg zur Burg hat es gerade für das Liegerad nochmal in sich. Tobias nimmt aber auch diese letzte Hürde, bevor wir uns erschöpft und glücklich für das Gruppenfoto einreihen und von Ingo (dem Organisator der Brevets in Berlin) unsere Medaillen in Empfang nehmen.

Kurz vor 9 Uhr morgens und nach 24 h Fahrt tummeln sich an der Wartburg die Randonneure aus ganz Deutschland. Es sieht aus wie ein Meer von neonfarbenen Westen und Jacken.

Nicht umsonst habe ich eine kleine Flasche APS von Berlin bis hierher geschleppt: das Team „Aperol Spritztour“ kann angemessen auf die Tour anstoßen.

Beflügelt vom Getränk des Sieges geht es wieder bergab zum Sportlerheim, wo Bier und Bratwurst (leider nur mit Tier) auf uns warten. Die meisten Randonneure stehen etwas perplex vor dem Bierwagen – morgens um 10 nach einer Nacht ohne Schlaf denkt nicht jeder an ein Siegerbier. Aber spätestens nach dem 2. Bier gibt es kein Halten mehr und wir feiern eine ausgelassene Party. Aber auch einige Abnutzungserscheinungen sind bei den meisten Mitradlern schnell zu erkennen und der Alkohol tut sein Übriges.

Wir verwerfen unsere Pläne einer frühen Heimfahrt und nach einem ausgiebigen Schläfchen auf der Wiese fahren wir mit unserer Reisegruppe Richtung Bahnhof. Der Biertisch der Berliner Randonneure hatte es mal wieder am Längsten ausgehalten. Vor uns liegen 6 Stunden Heimfahrt im Regionalexpress – mit netten Mitfahrern aber kein Problem, wir hatten ja auch noch etwas Schlaf nachzuholen.

Müde und zufrieden kommen wir wieder in Berlin an. Was für ein grandioses Wochenende. Vielen Dank an Tobias und Phelim – die Aperol Spritztourer, an die Fahrradmechaniker unseres Vertrauens, die uns mal wieder kurzfristig die Karren mitgemacht haben und natürlich an die Organisatoren dieses super Events, die uns ermöglicht haben so viele tolle Randonneure aus ganz Deutschland kennenzulernen. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen, spätestens in Paris (oder in London im August).

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